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Facharbeitermangel? Ohne mich!

Ich war schon ein Bischen versucht, daran zu glauben, als ich vor zwei Monaten eingestellt wurde. Die Einstellung hielt dann aber auch nur sechs Wochen. Es war eben Zeitarbeit. Das heißt, ich habe abwechselnd Zeit und Arbeit.

Von Kundendienstmitarbeitern hörte ich, dass ihre Vorgesetzten, wie es so schön heißt, „händeringend” nach mehr Personal suchen. Ich sehe aber nichts davon, dass irgendjemand die Hände ausstreckt nach neuen Facharbeitern, geschweige denn, dass die Firmen darum ringen. Wenn der Mangel wirklich so schlimm wäre, wie jeder behauptet, würden die Firmen mehr auf die Arbeitssuchenden zugehen. Oder haben nur die meisten Betriebe noch nicht begriffen, dass sich das Prinzip der Knappheit zu ihren Ungunsten gewendet hat, und verhalten sich deshalb wie eh und je?

Am Donnerstag erhielt ich einen Anruf vom Arbeitgeberservice des Arbeitsamtes. Nebenbei gefragt: Wo bleibt der Arbeit­nehmer­service? Aber zurück zu dem Anruf. Der Beamte teilte mir unnötigerweise mit, er werde mir einen Stellenvorschlag zuschicken, auf den ich mich zu bewerben habe. Ich soll mich bewerben. Dagegen habe ich an und für sich nichts einzuwenden, nur: Wann kommt jemand und macht mir ein Angebot? Auf meinestadt.de hat das doch schon funktioniert, dass ich Angebote bekam. Da habe ich ein Formular ausgefüllt und anschließend konnten die Arbeitgeber ein Profil mittleren Umfangs lesen. Da sie interessiert waren schrieben sie mich über den Chiffre­service an und baten um die vollständigen Bewerbungs­unterlagen. Rein formell gesehen habe ich mich beworben, aber das Interesse auf der anderen Seite war schon vorhanden.

Doch wo ist es jetzt, dieses Interesse? Am 18.12. habe ich selbst im Main-Echo ein Stellengesuch aufgegeben. Bis heute habe ich darauf nicht eine Zuschrift und nicht einen Anruf erhalten. Und das, obwohl angeblich gerade in meinem Fach (Maschinenbau und Instandhaltung) die meisten gebraucht werden. Sind die Chefe so überbeschäftigt, dass sie keine Zeit mehr haben zum Zeitunglesen, weil sie so viel Arbeit selbst erledigen müssen? Ich hoffe nicht.

Nein, ich glaube, das Problem liegt woanders. Wenn wahrlich ein Mangel an Ingenieuren und Facharbeitern besteht, dann erfordert dieser Mangel einen Perspektiven­wechsel um 180°. Dieser Perspektivenwechsel hat noch nicht stattgefunden. Die Personalchefe denken, sie könnten ihre Probleme über Zeitarbeit lösen. Doch jeder Facharbeiter mit einer gesunden Portion Selbstwertgefühl wird da nicht mitmachen. Das betrifft insbesondere die, die bereits am Fließband oder in der Tankstelle arbeiten. Getankt wird immer. Da gibt es zwar nicht viel zu verdienen pro Stunde, dafür aber dauerhaft. Wer einen annehmbaren (sozial­versicherungs­pflichtigen) Job hat wird lieber dort bleiben, anstatt sich auf eines der wackeligen Sprungbretter einzulassen, auf die uns die Zeitarbeitsfirmen führen wollen.

Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass eine Firma in meiner Reichweite ab Januar wieder Facharbeiter wie mich brauchen wird. Als ich mich dort persönlich vorstellte wurde ich nur auf die Internetpräsenz der Firma verwiesen. Dort seien die aktuellen Arbeitsstellen ausgeschrieben. Der Abteilungsleiter habe keine Zeit. „Aha. So wichtig kann es also nicht sein!” dachte ich, ging nach Hause und ins Internet. Die Seite der Firma war zu finden aber nicht die Arbeitsstelle. Das bestätigt was ich vermutet hatte: Die Firma sucht nur über Zeitarbeit. Sie ist mit ihrer Einstellung im Jahr 2008 stecken geblieben. Ich befürchte, dass es noch viele weitere mit dieser Einstellung gibt.

Zeitarbeit ist nicht die Lösung des Problems. Sie ist zu großen Teilen sogar die Ursache! Hätten die Zeitarbeitsbosse etwas anständiges gelernt, dann hätten wir jetzt genug Elektriker, Schlosser und Technische Zeichner. Mir ist durchaus bewusst, dass manche einen technischen oder handwerklichen Beruf gelernt haben. Aber was machen sie dann im Büro, während sie auf der Baustelle gebraucht werden? Das einzig positive daran ist, dass wenigstens diese Personaldisponenten etwas von der Arbeit verstehen, die sie vermitteln.

Wenn es nur um kurzfristige personelle Engpässe ginge, zu deren Behandlung die Zeitarbeit ursprünglich gedacht war, würde ich nichts sagen. Zeitarbeit ist aber zum Dauerzustand geworden. Industriebetrieb A vergibt Aufträge ohne Ende an Montagefirma B und die holt sich ihre Leute von den Zeitarbeitsfirmen C1, C2, C3, C4 und so weiter. In dieser verwalteten Verwaltung entsteht immer mehr Arbeit, die immer mehr kostet und im Endeffekt nicht mehr nützt als früher die reine Arbeit ohne Leihfirmen. Man kann auch von Eisenbach über Großostheim nach Mömlingen fahren. Jedes Grundschulkind weiß, dass das zu lange dauert. Aber die Personalplaner machen genau diesen Fehler und wundern sich hinterher, dass nicht genügend Fahrer vorhanden sind, um in der gegebenen Zeit alle Fahrten zu bewältigen.

Anstatt diesem blinden Aktionismus Einhalt zu gebieten wird der Holzweg noch breiter ausgebaut. Ich habe einen Arbeitskollegen erlebt, der für zwei Arbeitstage 600km zurückgelegt hat. Ihm waren mindestens drei Arbeitstage plus möglicherweise die folgende Woche versprochen worden. So nutzt sich unsereins das Auto ab und hat am Ende nicht mal ansatzweise genug Geld verdient für ein neues gebrauchtes. Wenn das so weiter geht können wir uns bald an einer Hand die Facharbeiter abzählen, die bei der Vorstellung in der Leihfirma sagen können: „Ja, ich habe ein Auto”. Deshalb sage ich, wenn man mich da fragt, schon jetzt zukunftsweisend: „Ja, ich habe eines. Aber fragen sie mich nicht, wie lange das noch hält!”

Apropos Grundschulkind: Der zweite notwendige Schritt nach dem Verbot (oder massiver Beschränkung) der Zeitarbeit ist mehr Bildung. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch über Umschulungen sprechen. Es ist an der Zeit, dass die Zeitarbeitsbosse wieder einen Helm auf den Kopf bekommen und eine Hilti in die Hand. Wir müssen unseren angehenden Auszubildenden und Studenten einbleuen, dass es nicht weise ist, den Beruf nach der Mode zu wählen, sondern anhand der eigenen Begabungen und anhand des wirtschaftlichen Bedarfs. Sonst kommt so etwas dabei heraus wie wir jetzt haben: Bürokaufleute wie Sand am Meer aber zu wenige Elektriker. Mit „wir” meine ich übrigens alle: Eltern, Lehrer, Schüler, Politiker und Ausbilder. Hört endlich auf, mit der Verantwortung Tischtennis zu spielen!


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